Roda Müller-Wieland ist Projektleiterin für Schulung, digitale Kompetenz und Transformation bei der DEGES.

Frau Müller-Wieland, die Digitalisierung bringt einen tiefgreifenden Wandel in Unternehmen mit sich. Wie lässt sich ein solcher Kulturwandel am besten begleiten?

Roda Müller-Wieland: Die digitale Transformation ist in der Tat eine große Herausforderung – gerade für öffentliche Unternehmen wie die DEGES, bei denen der Innovationsdruck oft geringer ist als in der freien Wirtschaft. Trotzdem gibt es gute Gründe für den Wandel: Wir versprechen uns davon mittel- und langfristig Zeitersparnisse und Kostenvorteile durch effizientere Prozesse. Gleichzeitig wollen wir mehr Kapazitäten für qualitativ hochwertige Aufgaben statt für Routinetätigkeiten schaffen. Damit steigt die Bedeutung des gut ausgebildeten Ingenieurs in unseren Projekten. Gleichzeitig ist es ein Beitrag, den eklatanten und sich immer weiter verschärfendem Fachkräftemangel zu begegnen. Auch ein besseres gemeinsames Verständnis für digitale Tools und Methodiken wie BIM ist ein Ziel. Und nicht zuletzt geht es darum, unsere Attraktivität als Arbeitgeber und unsere Zukunftsfähigkeit zu steigern.

Der Weg dahin ist aber nicht immer einfach, oder?

Müller-Wieland: Nein, der Kulturwandel braucht Zeit. Gerade am Anfang kann der Aufwand für die Mitarbeitenden sogar erstmal steigen. Natürlich dauert es relativ lange, bis man wirklich die Zeit einspart, weil ich das erstmal neu lernen muss, meine Gewohnheiten verändern muss. Die Herausforderung aus der Change-Perspektive ist, das richtige Erwartungsmanagement zu betreiben und transparent zu kommunizieren. Dabei bleibt das Ziel stets, die Veränderungs-Motivation aufrechtzuerhalten. Wichtig ist, nicht den Mut und die Geduld zu verlieren. „Das Tal der Tränen“ kommt in jedem Transformationsprozess – da muss man durch, um danach die Früchte ernten zu können.

Wie wichtig ist dabei die Unterstützung des Top-Managements?

Müller-Wieland: Das Commitment von ganz oben ist ein entscheidender Erfolgsfaktor. Die Transformation muss seitens der Unternehmensleitung eingefordert und wirklich gewollt sein. Ein Grundverständnis und Unterstützung für die konkreten Ziele der Veränderung ergänzt das. Sonst kämpft man gegen Windmühlen.  Ich glaube durchaus an Bottom-up-Prozesse. Aber ein Grundverständnis und das Ziel, das wäre schon gut, wenn das Management das verstanden hat – warum wir es denn überhaupt machen. Also: Das „Warum“ und „wie gehen wir es an“ sollten gedeckt sein.

Sie setzen bei der DEGES auch auf sogenannte „Power User“ als Multiplikatoren. Was hat es damit auf sich?

Müller-Wieland: Das sind Personen, die ihre Kolleginnen und Kollegen bei der Umstellung mit Rat und Tat unterstützen. Dabei setzen wir auf Freiwilligkeit, Motivation und Selbsteinschätzung. Sie müssen keine besondere Technikaffinität haben, wobei das natürlich hilft. Das Wichtigste ist: Man braucht motivierte Leute, die Lust haben, sich damit auseinanderzusetzen und die sich auch in der Lage fühlen, das Wissen und die Tricks an andere weiterzugeben oder, wenn Leute um Hilfe bitten, ihnen zu helfen und sich eventuell selbst schlau zu machen.

Die Power User treffen sich regelmäßig mit unserem externen Dienstleister zu Live-Sessions, tauschen sich in einem eigenen Team aus und geben ihr Wissen in ihren Bereichen weiter. Das hat sich auf jeden Fall gelohnt, denn sie entlasten uns als Projektleitung sehr – gerade in der Phase, in der die Leute anfangen, mit den neu eingeführten Tools zu arbeiten. Wir wissen das Engagement der Power User, das über  den eigenen Arbeitsalltag hinausgeht, sehr zu schätzen!

Welche Ebenen muss man bei der Transformationsbegleitung im Blick haben?

Müller-Wieland: Wir müssen immer alle Ebenen im Blick haben, auf denen Widerstände entstehen können: Das individuelle Mindset und Verhalten der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ebenso wie Strukturen, Prozesse und die Unternehmenskultur.

Wir setzen dafür auf vielfältige Maßnahmen: Auf der individuellen Ebene nutzen wir unsere Lernplattform mit Lernangeboten für jeden Lerntyp. Um auch auf der kulturellen Ebene zu wirken, setzen wir auf Change-Kommunikation über unser Social Intranet. Die Power-User-Community wirkt als Multiplikator. Und um an Strukturen und Prozessen zu arbeiten, führen wir regelmäßig Workshops vor Ort oder online durch. Jedes Mal versuchen wir, am Ende ein Feedback einzuholen, um zu wissen: Wie ist das Training oder das E-Learning angekommen? Was können wir beim nächsten Mal besser machen? Welches zusätzliche Angebot wird gebraucht?

Und gab es auch Misserfolge bei Transformationsprojekten?

Müller-Wieland: Die gab und gibt es natürlich auch. Zum Beispiel haben wir zu Beginn der Einführung von Microsoft 365 umfangreiche Schulungen durchgeführt, die auch gut angenommen wurden. Aber dann hat sich der Rollout etwas verzögert und vieles war schon wieder vergessen, als Microsoft 365 dann genutzt werden konnte. Da ist der Lerneffekt bei einigen leider verpufft.

Es sollte also so sein, dass das Gelernte auch schnell im Arbeitsalltag angewendet und damit vertieft werden kann. Auch deshalb hat es sich bewährt, vor Transformations- und Trainingsmaßnahmen einen Projektplan zu erstellen und eine entsprechende Analyse – eine Change-Impact-Analyse – durchzuführen: Wer ist von der Veränderung betroffen? Welche Reaktionen und Hindernisse sind zu erwarten? Mit welchen Methoden können wir ihnen begegnen? Dann ist man auf vieles gut vorbereitet. Allerdings müssen auch entsprechende personelle Ressourcen für die kontinuierliche Begleitung eingeplant werden.

Was ist Ihr Fazit: Worauf kommt es bei der Begleitung des digitalen Kulturwandels an?

Müller-Wieland: Unser Ziel ist es, so viele Kolleginnen und Kollegen wie möglich zu erreichen und zu befähigen. Widerstände wollen wir gering halten, indem wir Angebote machen, Ängste abbauen und die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit den Möglichkeiten ausstatten, den Wandel mitzugehen. Wir mussten aber auch lernen, dass es manchmal nicht möglich ist, alle gleichermaßen zu erreichen – was nicht gleichzeitig bedeutet, dass man den Weg nicht weitergehen sollte.

Eine der entscheidendsten Aufgaben: bei denjenigen, die sich schwertun oder sich vielleicht sogar widersetzen – hinzuhören, was die Gründe dafür sind und diese auch ernst zu nehmen. Kulturwandel braucht Zeit und Geduld. Mit den richtigen Argumenten, realistischen Erwartungen, Rückendeckung von oben, individuellen Schulungsangeboten und engagierten „digitalen Botschaftern“ kann er gelingen. Entscheidend ist, möglichst viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf dieser Reise mitzunehmen.